„Der Sultan ist tot, es lebe der Sultan“

Kurzgeschichte von Christoph Dolge

CN: Tod, Diktatur, Gewalt

„Er ist tot! Der Bastard ist tot!“
Abdul Ahad hatte seine Zweitfrau am Telefon, seine Vertraute, mit der er jeden persönlichen Triumph, alle Sorgen und sogar bittere Niederlagen teilte. Doch für schlechte Nachrichten war dies nicht die Zeit – ganz im Gegenteil.
„Wer denn?“
„Al Mamba natürlich! Ich habe es von Karim gehört. Eine Bombe. Hat ihn erwischt, als er seine Kamele besuchte. Sein Liebling Sheila brauchte wieder ein Lifting, da musste seine Majestät Hassun al Mamba natürlich höchstpersönlich überprüfen, wie die Operation verlaufen ist.“
„Wer liftet denn Kamele?“
„Was weiß ich denn. Hörst du mir nicht zu? Sie haben den Sultan ermordet, ich bin frei!“
Jetzt erst schien die Nachricht bei Fida anzukommen. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, dessen emotionale Zusammensetzung Abdul Ahad nicht genau zu entschlüsseln vermochte. Freude? Schock? Sie würde dem Tyrann doch hoffentlich nicht nachtrauern?
„Was passiert jetzt mit dir?“, wollte sie wissen.
Er atmete tief durch und schluckte einen sandtrockenen Kloß Speichel herunter.
„Ganz genau weiß ich das natürlich nicht. Wahrscheinlich gibt es Pläne, wie man jetzt verfahren wird. Aber wer sollte jetzt noch einen Doppelgänger des Sultans brauchen? Ich muss mich nicht mehr für den alten Sklavenschinder in Gefahr begeben! Seine Vorkoster werden sicher auch jubeln.“
„Allah sei gepriesen! Beten wir dafür, dass du in Frieden leben darfst und der Nachfolger des Sultans seinem Volk besser dient als dieser gesprengte Kamelschänder.“
„Ach, Liebling, tausendfach strahlende Sonne. Du sollst nicht fluchen, das steht einer Frau nicht zu. Fühl dich geküsst, ich muss jetzt weitere Freunde anrufen!“
Nachdem er aufgelegt hatte, überlegte er, mit wem er die guten Nachrichten als Nächstes teilen sollte. Für einen Moment hielt Abdul Ahad inne und warf einen Blick aus dem Fenster seines Appartments. Die intensiv bewässerten Grünanlagen der Siedlung schienen seine Zuversicht zu teilen und strahlten in lebendiger Pracht. Selbst die Wüste, die etwa zehn Meter hinter der letzten Hecke begann, flimmerte aufgeregt in der Mittagssonne und wollte ihn locken: Lass das komplizierte Leben hinter dir und folge den Pfaden deiner Ahnen. Werde Kaufmann wie dein Vater und reise um die Welt! Du musst nicht mehr auf dem Rücken von Pferden oder Kamelen durch die Einöde schaukeln. Mit deinen Erfahrungen ist sicher ein angenehmes Jetset-Leben möglich!
Als Doppelgänger des Sultans war er kaum in der Lage gewesen, eigene Entscheidungen zu treffen. Er musste sich mit wenigen Vertrauten umgeben und selbst seine Familie stand unter strenger Bewachung, damit niemand sein gefährliches Geheimnis ausplauderte.
Er löste sich wieder von der Träumerei und schaltete die Nachrichten an. Ob Al Jazeera bereits berichtete? Oder hielt der Nachrichtendienst noch einen Schleier über dem Tod des Führers?
Die Sprecherin erläuterte soeben Bilder einer OPEC-Konferenz und wies auf lokale Spannungen und deren Auswirkungen auf den Ölpreis hin. Ha, wie die sich alle umschauen würden, wenn sie erfuhren, dass der Blutsultan hinüber ist! Abdul Ahad machte sich keine Illusionen, dass der nächste Führer dem Land mehr Frieden oder den Teilen der Bevölkerung, die nicht seiner eigenen Großfamilie angehörte, Wohlstand brächte.
Wer war nun an der Reihe? Ah, sein Bruder! Rasch betätigte er den Wahlbutton auf seinem Handy. Hinter vorgehaltener Hand hatten sie sich schon oft über die Ungerechtigkeit und Brutalität von al Mamba unterhalten. Nun war es an der Zeit, offen zu sprechen!
Als dieser den Anruf annahm, ließ Abdul Ahad ihn gar nicht zu Wort kommen, sondern bestürmte ihn: „Wir müssen ein großes Fest ausrichten! Allah hat einen bösen Mann zu sich genommen und mir die Freiheit geschenkt.“
Sie berieten sich und planten Details der Feier, schwelgten in Zukunftsplänen und träumten von einer besseren Welt.
Dies wurde jäh unterbrochen, als bewaffnete Soldaten in den Raum stürmten. Ein älterer Nachrichtendienstoffizier, der für das Management der Doppelgänger zuständig war und den Abdul Ahad schon von früheren Begegnungen kannte, packte ihn am Arm.
„Was soll das?“, quiekte er.
„Du musst mitkommen. Unser großartiger Führer wurde Opfer eines Attentats.“
„Und wozu braucht ihr dann mich? Soll ich seine Stelle einnehmen? Die Fassade aufrecht erhalten? Begreift doch, wie wenig das jetzt noch zählt! Wenn erst …“
„Maul halten.“, fuhr der Agent ihm ins Wort. „Der Sultan hat den Anschlag überlebt.“
Abdul Ahad wurde bleich. Also doch kein Entkommen. Die Gefahr war im Gegensatz noch gewachsen.
„Ganz recht. Die Doppelgänger sind weiterhin im Dienst. Heute Nachmittag gibt es eine Presseerklärung zu dem Vorfall. Seine Majestät wird selbst vom Krankenbett im Klinikbunker aus zu seinem Volk sprechen.
„Er selbst? Aber wozu braucht ihr dann mich?“
„Er hat überlebt. Aber die Ärzte konnten nicht alles retten. Er hat das linke Auge, den linken Arm und das linke Bein verloren. Großflächige Verbrennungen. Du verstehst doch, dass du so nicht weiter als sein Doppelgänger arbeiten kannst.“
Das löste die Verwirrung keinesfalls auf. Abdul Ahad glaubte kaum, den Offizier von irgendwelchen Plänen abbringen zu können, aber dennoch versuchte er noch einmal: „Dann lass mich doch einfach gehen.“
„Du wirst nicht entlassen. Du kommst mit. Wir passen dich dem Sultan nur an.“

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