Scheibletten mit Hexenstich

Diese Kurzgeschichte entstand für die Ausschreibung „Das Leuchten der Schweinwerfer“ des ohneohren-Verlags. Ziel war, einen sinnentstellenden Tippfehler/ Buchstabenverdreher zu nehmen und daraus eine phantastische Geschichte zu konstruieren. Der hier verwendete Fehler lautet „er bestimmt die Nähwerte von Lebensmitteln“ („Näh“ statt „Nähr“). Leider hat sie es nicht in die finale Auswahl geschafft. Dennoch will ich sie euch nicht vorenthalten!

CN: Rollstuhl, Behinderung, Essen/ Lebensmittel

Der Alltag als Laborwichtel war für Cordo immer schon beschwerlich. Doch seitdem aufständige Elfen ausgerechnet den Durchgang gespeert hatten, den er auf dem Weg ins Archiv nutzen wollte, hatten sich die Probleme vervielfacht. Was nützte Heilzauberei, die narbenlose Regeneration versprach, wenn das verfluchte Bruchstück einer Speerspitze zwischen zweien seiner Wirbel gefangen blieb? Nun also, seit mittlerweile fünf Jahren, konnte er seine Beine nicht mehr benutzen und blieb wohl für immer auf den Rollstuhl angewiesen.

„Dämliches Komponistenpack! Sind nur zu faul, ordentlich zu arbeiten.“, grollte er, während er sich anzog und davon träumte, den Fiedlern ordentlich die Meinung zu geigen. Die meisten ihrer Taten waren jedoch im Rahmen einer Generalamnesie in Vergessenheit geraten, sodass man sie nie zur Rechenschaft ziehen konnte.

Zumindest war sein Arbeitsweg nicht von weiteren Schwierigkeiten bedrängt. Publikumsverkehr musste er ebenfalls nicht befürchten, denn im großen Hörsaal lockte an diesem Tag ein Seminar mit dem Titel „Freihändiges Schminken im Selbstversuch – Öffentliche Verunstaltung“. Die Opfer dieses Zeitvertreibs dürften Besseres zu tun haben, als ihn auch noch im Labor zu behelligen.

Trotzdem war es auffällig still, als er die letzte Rampe erklommen hatte und an der Tür zum Experimentarium ankam. An der Tür hing ein Leinenbeutel. Verdächtig prall und schwer, dazu noch eine Notiz: „Cordo, bin heute auswärtig, bitte bestimm schonmal die Nähwerte dieser Lebensmittel, Viel Spaß, Dr. Klawutt“.

„Lieber auswärtig als widerwärtig!“, witzelte der Wichtigel und knotete vorsichtig die Trageschlaufen auf. Er begutachtete das Sammelsurium an Esswaren, das sich ihm im Inneren der Tasche offenbarte. Seine haarigen Finger schoben seltsam verpackte Quader und Säckchen beiseite, pulten kurz an der Wachsschicht eines Achtellaibs Käse und glitten dann über die Haut einer prallwürzigen Knackwurst. War sein Chef ins Schlaraffenland eingebrochen?

Dennoch waren weder die Art der Übermittlung noch der Auftrag an sich etwas Ungewöhnliches. Als vorbildlicher Laborant war er in der Lage, die unterschiedlichsten Geräte zu bedienen und qualifizierte Messungen vorzunehmen. Besonders stolz war er darauf, sich nicht mit Gedanken darüber abzugeben, wofür seine Arbeit eigentlich verwendet wurde.

Der Anählysator war in einem Nebentrakt des Zentrallabors untergebracht. Cordo klemmte den Beutel auf seinen Schoß und machte sich auf den Weg. Bevor er jedoch am Ziel ankam, geriet ihm beinahe Saff unter die Räder. Seine Kollegin schoss ohne Vorwarnung aus ihrem Büro, verlor vor Schreck das Übergewicht und purzelte quer zu Boden.

„Uff, au!“, schimpfte sie, während sie hastig die heruntergefallenen Pfunde wieder einsammelte.

„Heißa!“, freute sich Cordo, denn er hatte schon seit langer Zeit einen Gefallen an der kecken Gnomin gefunden, auch wenn sie immer wieder tapsig ins Chaos segelte.

„Öh. Cordo! Ich soll dir heute helfen. Doktor Klawutt hat mir eine Liste mit Garnen, Fäden und Spindelware gegeben, die ich besorgen muss, dann treffen wir uns in der Zwirnkammer.“

„Hey, super! Ich bereite die Geräte vor, dann geht nachher alles schneller und wir können uns hinterher noch ein Softeis mit Koksraspeln gönnen.“

Wurde Saff etwa rot? Cordo war im Eifer des Gefechts mit diesem kühlen Plan hervorgeplatzt und jetzt mächtig stolz darauf, dass er sich getraut hatte, die süße Kollegin auf ein Eis einzuladen.

„Aber bitte nur das Softeis, sonst kann ich wieder nicht schlafen!“, grinste die junge Laborhelferin. Dann hatte sie sich wieder beisammen und stürmte davon, wahrscheinlich ins Schnurarchiv.

Kurz darauf schob Cordo die Tür der Zwirnkammer hinter sich zu, legte den Schalter am großen Anählyseturm in der Mitte des Raumes um und wuchtete den Beutel auf den Labortisch. Sorgfältig kontrollierte er die beigefügte Liste und glich sie mit den Zutaten ab, die er auspackte.

„Na dann mal sehen.“

Wie vernäht man Lebensmittel? Zuerst galt es, möglichst dünne Scheiben schneiden. Womit ging das einfacher als mit dem einseitig geschliffenen Mithrilmesser? Die ostzwergischen Messerschürfer hatten damit ein Wunder aus dem Berg gewaschen: Es glitt widerstandslos durch Schinken und Käse und produzierte wohlgeformte flache Stücke. Doch noch mehr Spaß machte es, Rüben und Gurken am Wickel zu packen und sie nach aller Kunst abzuspulen. Dabei kam es darauf an, ihnen ohne abzusetzen einen Schälschnitt zu verpassen und den dann im Kreis immer weiter fortzuführen. Dabei verwandelte sich das Gemüse in ein langes flaches Band, durch welches man im Gegenlicht hindurchschauen konnte.

Für einige besonders anspruchsvolle Messungen schließlich spannte Cordo die Proben in eine Drehbank und ließ ein breites Messer einen exakt programmierten Furnierspan abnehmen. Der Schinken erwies sich bei dieser Prozedur als besonders widerspenstig, doch zum Glück hatte Dr. Klawutt genug Verschnitt eingeplant.

Der Anählysator – das war jenes Gerät, welches den Großteil des Raumes einnahm – war inzwischen warmgelaufen. Er tuckerte zufrieden vor sich hin und wartete geduldig, während Cordo für einen Probelauf einfaches Standard-Garn No. 120 mit dreifach gezwirntem Faden einlegte und in die Nadel fädelte. Dann testete er die ersten Stiche an einer Scheiblette.

Zack, der Käse wurde durch die Fadenspannung zusammengezogen, die Naht wölbte sich auf und nach wenigen Zentimetern franste der Rand aus.

„Na, das kann ja was werden!“, grummelte der Laborwichtel, dessen Laune sich aber sofort wieder hob, als Saff hereintanzte und ihm ein großes Sortiertablett voller Fäden brachte.

Während sie nun die Magazinfächer der Maschine mit den Spulen belud, programmierte Cordo das Ungetüm. Der Anählysator hatte mehr Gemeinsamkeiten mit einer sinistren Orgel denn einem feinjustierbaren Laborgerät: Eine Batterie Fußpedale erlaubte, rasch die Gänge und Stichweiten zu ändern. Hebel und Zugseile arrangierten den Nahtversatz und bewerkstelligten den Einsatz der Overlock- und Coverlocktechnik. Präzise Stellschrauben am Nähfuß gaben Zugriff auf die Schnittwinkel der Messer zum Versäubern der Naht. Damit er das Gerät trotz seiner unbeweglichen Beine benutzen konnte, war schon seit einiger Zeit eine Vorrichtung installiert worden, die er händisch bedienen konnte. Diese Brücke brachte er als letzten Schritt in Position.

Als die Garne geladen waren, sagte Saff die Reihenfolge der Stiche und die für die Anählyse notwendige Nahtzugabe an. Obwohl er schon so manches Produkt getestet und auch exotische Fäden und Stoffe untersucht hatte, schwirrte Cordo nach einiger Zeit der Kopf. Ein hastiger Blick auf seine Uhr verriet, dass er den Aufwand unterschätzt hatte: „Das Eisschlecken können wir uns wahrscheinlich abschminken.“

Saff, die sich üppig nach vorn beugte, um einen widerspenstigen Zwirn in die Laufringe einzureihen und Cordo dabei einen wunderbaren Ausblick bot, warf ihm einen enttäuschten Blick zu. „Aber wir haben das Labor für uns, weil Dr. Klawutt erst morgen wiederkommt. Hast du heute Abend noch was vor?“

Die forsche Art seiner Kollegin überrumpelte ihn derart, dass er fast ein Kästchen mit Ersatznadeln in die Maschine gekippt hätte. Zumindest hatte Cordo wohl die richtigen Signale gesendet – oder war Saff ganz von allein auf die Idee gekommen? Bloß nicht zu viel hinterfragen!

„Nö. Ich. Also. Klar. Dann ran ans Garn!“, stammelte er und war froh, sich in seinem Fachhandwerk versenken zu können. Trotzdem war Cordo sicher, dass seine Ohren und Wangen glühten, als wäre er ein kleiner Leuchtturm.

Gemeinsam machten sie sich ans Werk und gingen methodisch Lebensmittel für Lebensmittel durch, während sie Garn und Stichform variierten und sich jeweils die Ergebnisse notierten. Cordo nahm dabei den Anählysator in Beschlag und schob ein Teststück nach dem anderen hindurch. Saff wiederum entlud die fertig vernähten Teile und prüfte sie ausgiebig.

Immer mal wieder entfuhren ihr dabei erstaunte Kommentare: „Der Schinken ist wohl etwas zu lange gereift. Ich habe lange nicht mehr so starre Kappnaht gesehen.“, oder „Die Rübe mit Kreuzstich am Käse ist labberig, doch dieser Elfenhaar-Zwirn lässt selbst das wirklich schick aussehen. Aber ich wüsste nicht, ob ich so etwas tragen könnte.“, und schließlich „Meine Güte, die Reißfestigkeit von Gurke geht ja durch die Decke, wenn du sie im Steppstich anheftest. Die Gemüsepiraten von St. Rhubarb werden doppelt so schnell segeln wie zuvor!“

Die letzten Tests wollte Cordo selbst erledigen, doch von der ganzen Arbeit hatte er Hunger bekommen und bat seine Kameradin, inzwischen etwas aus der Kantine zu besorgen.

Er mahnte: „Aber keine Nudeln, die kann ich seit dem letzten Ramenbeschluss nicht mehr sehen.“

Als Saff zurückkam, trug sie ein so spitzbübisches Grinsen zur Schau, dass ihm ganz anders wurde. Hatte Sie etwa Teig dabei und wollte mit ihm die Nacht durchstanzen?

„Was hast du denn vor?“

„Wirst du schon sehen. Bist du bald fertig?“

Ein bisschen wehleidig schaute er auf die Notizen. Der Bericht ging auf seinen Buckel, daran ließ sich nichts rütteln. „Wird schon.“, murrte er und rollte mit dem Laborjournal ins Büro. „Bin bald wieder da!“

Noch nie waren ihm die Finger so über die Tastatur der Schreimaschine geflogen wie an diesem Nachmittag. Auch sein Gehörschutz legte eine Sonderschicht ein und übertraf sich selbst. Als Cordo schließlich die letzten Kommentare und besonderen Beobachtungen ausgeführt hatte, konnte er es kaum noch erwarten, zurück ins Labor zu eilen. Als grölenden Abschluss der Arbeit musste er die Zusammenfassung der Ergebnisse nur noch in die Kanone laden, denn sie waren wie immer strenge Verschusssache.

Dort hatte sich Saff ordentlich in Schale geworfen: Sie hatte sich mit Blättern vom Salatbuffet, Fadennudeln und Salamischeiben ein kunstvolles Kleid geschneidert. Sie sah buchstäblich zum Anbeißen aus. Auch für Cordo lag eine Garnitur bereit, die sich aus herzhaftem Wirsing, Fasanenfilet und einer Brokkoli-Halskrause zusammensetzte und von Nähten aus fein gezwirnten Karottenstreifen in Form gehalten wurde.

Die Gnomin grinste.

„Na, Lust, was zu Knabbern?“

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